Zur Aufsichtspflicht der Eltern von Kind, das gerne zündelt

BGH, Urteil vom 27.02.1996 – VI ZR 86/95

Es stellt eine Verletzung der elterlichen Aufsichtspflicht dar, ein Kind, welches schon mehrfach durch Neigung zum Zündeln aufgefallen ist, für mehrere Stunden unbeaufsichtigt im Freien spielen zu lassen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 20. Januar 1995 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Abweisung der gegen die Zweitbeklagte gerichteten Klage bestätigt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand
1
Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen des Brandes ihres Werkstattgebäudes am 6. Oktober 1992.

2
An diesem Tag spielten der damals knapp 10-jährige Erstbeklagte, dessen alleinerziehende Mutter die Zweitbeklagte ist, und der einige Monate ältere Drittbeklagte im Hof des Werkstattgebäudes mit Streichhölzern. Gegen 17.00 Uhr setzte der Erstbeklagte das Papierlager an der Außenseite des Werkstattgebäudes in Brand, wobei die Beteiligung des Drittbeklagten streitig war. Bei dem Brand wurde das gesamte Materiallager der Klägerin zerstört.

3
Die Klägerin ist von ihrer Versicherung nur für den Gebäudeschaden entschädigt worden. Sie hat von den Beklagten – darunter auch den Eltern des Drittbeklagten als den Beklagten zu 4) und 5) – Ersatz des durch den Brand zerstörten Materials verlangt, dessen Wert sie aufgrund eines Sachverständigengutachtens mit 430.922,18 DM beziffert hat. Sie hat behauptet, der Erst- und der Drittbeklagte hätten den Brand gemeinsam verursacht und seien ihr deshalb zum Ersatz verpflichtet, weil sie über die erforderliche Einsichtsfähigkeit verfügt hätten. Daneben treffe die Zweitbeklagte sowie die Eltern des Drittbeklagten eine Haftung wegen Verletzung der Aufsichtspflicht, weil ihnen die Zündelneigung der Kinder bekannt gewesen sei.

4
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, weil es beim Erstbeklagten an der erforderlichen Einsichtsfähigkeit fehle, während der Zweitbeklagten keine Verletzung der Aufsichtspflicht vorzuwerfen und eine Beteiligung des Drittbeklagten an der Brandstiftung nicht erwiesen sei. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren gegen den Erstbeklagten und die Zweitbeklagte weiter. Der Senat hat nur die gegen die Zweitbeklagte gerichtete Revision angenommen.

Entscheidungsgründe
I.

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Das Berufungsgericht hat eine Haftung der Zweitbeklagten mit der Begründung verneint, daß sie zwar aufgrund der Personensorge für den Erstbeklagten eine gesteigerte Aufsichtspflicht getroffen habe, weil sie aufgrund zahlreicher Zündeleien dessen verhängnisvolle Neigung zum Umgang mit Feuer gekannt habe. Diese Pflicht habe sie jedoch nicht verletzt, weil sie mit mehrfachen nachhaltigen Ermahnungen und sogar dem Besuch einer psychologischen Beratungsstelle das ihr Mögliche und Zumutbare getan habe, um der Zündelneigung entgegenzuwirken.

6
Ihr könne auch nicht vorgeworfen werden, daß der Erstbeklagte am Nachmittag des 6. Oktober 1992 zwischen 14.30 Uhr und 17.30 Uhr ohne Aufsicht gewesen sei. Auch bei einem psychisch gestörten Kind im Alter des Erstbeklagten könne vom Aufsichtspflichtigen keine ständige Kontrolle verlangt werden. Eine solche Überwachung “auf Schritt und Tritt”, die jederzeit sofortiges Eingreifen ermögliche, sei einer vernünftigen Entwicklung eher abträglich (BGH, NJW 1984, 2574). Zudem sei ein Verbot, ohne die Aufsicht Erwachsener im Freien zu spielen, für die berufstätige Zweitbeklagte kaum durchführbar und bei dem bereits zu aggressivem Verhalten neigenden Erstbeklagten auch kaum durchsetzbar gewesen. Nur ein solches Verbot, das weitgehend mit einem “Einsperren” des Erstbeklagten gleichbedeutend sei, hätte jedoch die Verursachung des Brandes verhindern können.

II.

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Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

8
Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht an die Überwachungspflicht der Zweitbeklagten zu geringe Anforderungen gestellt und vor allem die besondere und der Zweitbeklagten auch bekannte Veranlagung des Erstbeklagten, nämlich seine Zündelneigung, nicht hinreichend berücksichtigt habe.

9
1. Der erkennende Senat hat mehrfach ausgesprochen, daß an die Pflicht zur Aufsicht über Kinder sowohl hinsichtlich der Belehrung über die Gefahren des Feuers als auch der Überwachung eines möglichen Umgangs mit Zündmitteln strenge Anforderungen zu stellen sind (zuletzt Senatsurteil vom 10. Oktober 1995 – VI ZR 219/94NJW 1995, 3385 m.zahlr.N.). Dem liegt die Erfahrung zugrunde, daß nicht selten durch Kinder Brände mit erheblichen Schäden verursacht werden. Dieses Risiko, welches für Dritte von Kindern ausgeht, soll nach dem Grundgedanken des § 832 BGB in erster Linie von den Eltern getragen werden, denen es eher zumutbar ist als dem außenstehenden Geschädigten, und die überdies als Sorgeberechtigte und Erziehungsverpflichtete auch die Möglichkeit haben, in der gebotenen Weise auf ihr Kind einzuwirken.

10
Hiervon geht im Grundsatz auch das Berufungsgericht aus, wenn es der Zweitbeklagten im Hinblick auf die Zündelneigung des Erstbeklagten eine gesteigerte Aufsichtspflicht auferlegt, wie sie sich nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats stets dann ergibt, wenn Minderjährige zu üblen Streichen oder Straftaten neigen (Senatsurteile vom 27. November 1979 – VI ZR 98/78VersR 1980, 278, 279 und vom 10. Oktober 1995 – aaO). Soweit das Berufungsgericht auf dieser Grundlage im Hinblick auf die Belehrungspflicht der Zweitbeklagten deren Bemühungen für ausreichend hält, die Zündelneigung des Erstbeklagten durch wiederholte Ermahnungen und sogar den Besuch einer psychologischen Beratungsstelle zu bekämpfen, sind seine Ausführungen nicht zu beanstanden. Auch die Revision erhebt insoweit keine Einwendungen.

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2. Mit Recht wendet sie sich jedoch gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, es könne der Zweitbeklagten nicht vorgeworfen werden, daß sie den Erstbeklagten im Zeitpunkt des Vorfalls mehrere Stunden unbeaufsichtigt im Freien habe spielen lassen. Dieses Verhalten ist mit den Anforderungen an eine gesteigerte Aufsichtspflicht, wie sie das Verhalten des Erstbeklagten erforderlich gemacht hat und wie sie vom Berufungsgericht im Grundsatz auch bejaht wird, nicht zu vereinbaren.

12
Der erkennende Senat hat mehrfach – zuletzt im Senatsurteil vom 10. Oktober 1995 – aaO – dargelegt, daß sich der Umfang der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Minderjährigen richtet. Dabei kann zwar eine Überwachung auf Schritt und Tritt und eine regelmäßige Kontrolle, etwa in halbstündigen Abständen, bei einem normal entwickelten Kind im Alter des Erstbeklagten unangemessen sein, wie dies der Senat im Urteil vom 10. Juli 1984 (- VI ZR 273/82VersR 1984, 968, 969 = NJW 1984, 2574, 2575) für 7-8jährige Kinder ausgeführt hat. Dieser Maßstab darf jedoch nur auf normal entwickelte Kinder Anwendung finden, bei denen vorauszusetzen ist, daß sie sich den Belehrungen der Erziehungsberechtigten nicht grundsätzlich verschließen, die Erfahrungen des Lebens mit seinen Gefahren in sich aufnehmen und ihr Verhalten im allgemeinen altersentsprechend danach ausrichten. Das hat das Berufungsgericht verkannt. Nach den tatsächlichen Feststellungen, die es zur Einsichtsfähigkeit des Erstbeklagten getroffen hat, war dieser im Zeitpunkt des Vorfalls aufgrund seiner besonderen psychischen Situation nicht in der Lage, die Gefährlichkeit des Zündelns zu erkennen und die ihm insoweit erteilten Ermahnungen und Belehrungen zu beachten. Daß unter diesen Umständen zum Schutz von Dritten eine besondere Überwachung geboten war, liegt auf der Hand, zumal sich die Zweitbeklagte ja der besonderen Intensität der Zündelneigung bewußt war und dieserhalb sogar eine psychologische Beratungsstelle aufgesucht hat.

13
Deshalb stellt es eine Verletzung der Aufsichtspflicht dar, daß sie den Erstbeklagten für mehrere Stunden unbeaufsichtigt im Freien hat spielen lassen. Die besondere Veranlagung des Kindes, welche das Berufungsgericht insoweit zutreffend erkannt hat, machte nämlich eine mehr oder weniger ständige unmittelbare Kontrolle seines Verhaltens erforderlich, wie der erkennende Senat dies im Urteil vom 10. Oktober 1995 – aaO – für den insoweit vergleichbaren Fall eines geistig zurückgebliebenen, durch Aggressivität aufgefallenen 9-jährigen Kindes ausgeführt hat. Das Berufungsgericht kann sich für seine Auffassung, eine derartige Kontrolle sei einer vernünftigen Entwicklung des Kindes eher abträglich, nicht auf das Senatsurteil vom 10. Juli 1984 – aaO – stützen, da die dortigen Erwägungen ausdrücklich nur für Kinder ohne solche besondere und gefährliche Veranlagung gelten, während vorliegend die durch die Zündelneigung erhöhte Gefahr für Dritte strengere Maßstäbe erforderlich macht.

14
Die hieraus folgende Verpflichtung zu einer engmaschigen Überwachung des Erstbeklagten war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch zumutbar. Zwar verkennt der Senat nicht, daß eine Beaufsichtigung dieses Umfangs im praktischen Leben – zumal durch einen berufstätigen und alleinerziehenden Elternteil – nur schwer zu realisieren ist. Wie der Senat jedoch im Urteil vom 10. Oktober 1995 – aaO – ausgeführt hat, wird sie hierdurch nicht unzumutbar. Vielmehr richtet sich die Zumutbarkeit von Aufsichtsmaßnahmen stets nach dem Ausmaß der Gefahr, die außenstehenden Dritten durch Eigenart und Charakter des Kindes droht, so daß außergewöhnliche Gefahren wie vorliegend die starke Zündelneigung des Erstbeklagten ein außergewöhnliches Maß an Aufsicht erfordern. Deshalb oblag es der Zweitbeklagten, diesen Gefahren durch eine genügende Aufsicht zu begegnen und sie auch gegenüber dem Erstbeklagten durchzusetzen. Insoweit ist in Übereinstimmung mit dem Senatsurteil vom 10. Oktober 1995 – aaO – nochmals darauf hinzuweisen, daß es wegen des in § 832 BGB zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willens nicht angeht, dieses besondere Schadensrisiko dem Geschädigten aufzubürden. Im übrigen hatte die Zweitbeklagte die Möglichkeit, dieses Risiko zu versichern, was vorliegend auch geschehen ist.

III.

15
Nach alldem konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben, soweit eine Haftung der Zweitbeklagten verneint worden ist. Die Sache war deshalb zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zur Höhe des Anspruchs getroffen werden können.

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